Am Ende einer einwöchigen Pechsträhne stehe ich Freitags ziemlich blöd da: Ich bin völlig pleite, Geld gibt´s frühestens am Montag und ich bin viel zu stolz, um mir etwas zu borgen. Die Pfandflaschen, die ich aus den Winkeln der Küche und unter den Sitzen meines ruinösen Autos hervorziehe, bringen 1,18 Euro. Und ein ganzes Wochenende steht bevor. Ich bin vorübergehend arm. Mitten in Berlin. Werde ich nun sexy?
Ich beschließe Blut zu spenden, dafür bekommt man immerhin 20 Euro.
Beim Gedanken daran fängt meine Ellbeuge an zu jammern. Die Erinnerung an meine letzte Blutspende – obwohl schon 20 Jahre her – ist so frisch, als würde die scharfe Stahlnadel noch immer in meiner Arterie stecken. Damals wurde mir flau im ganzen Körper, ich schwitzte und mir war gleichzeitig kalt, aber ich erhob mich wie ein Mann vom Feldbett und ging pfeifenden Herzens ins Wirtshaus, wo ich mich mit Schwarzbier stärkte – ein Fehler, wie ich spätestens auf dem Heimweg noch feststellen konnte, bevor ich mit trudelnden Gedanken und rotierendem Magen in einen heiklen Schlaf sank. Das war das letzte Mal, dass ich den ewigen Blutmangel im Gesundheitssystem mit meiner Dosis Null-Negativ auszugleichen versuchte.
Ich stehe früh auf, bade mich ausgiebig, trinke eine Tasse Tee und gehe los. Zu Fuß durch einen grau verhangenen Samstagvormittag in Berlin. Die wenigen Passanten bieten einen deprimierenden Anblick: Ein dickes Mädchen im Jogginganzug wartet darauf, bis ihr Hund mit Mitleid erregenden Falten im Gesicht seinen Kot in den Rinnstein presst. Zwei Jugendliche diskutieren laut die Berechtigung eines einwöchigen Hausverbots, wobei einer der Jungs noch nicht mal im Schulalter ist. Jogger mit unrundem Laufstil quälen sich einer illusionären Ausdauer entgegen. Ausflügler in unsinnlich steriler Allwetter-Kleidung treiben in plexiglasüberwölbten Schaluppen über die einbetonierte Spree und knipsen das Kanzleramt, das in seiner missratenen Architektur daliegt, wie ein vom Himmel hernieder gefallenes schiefes Gebiss.
Mit solchen Beobachtungen gelingt es mir eine Weile, mich von den wachsenden Zweifeln an der Aktion Blutspende abzulenken. Der Drang, einfach umzukehren wird stärker. Warum setze ich mich nicht einfach in eins der Cafes, die mit Schnaps, Bier und Frühstück werben und zwar genau in der Reihenfolge. Warum? Weil ich kein Geld habe für Schnaps Bier und Frühstück. Also weiter.
Irgendwann werde ich von dem Gedanken eingelullt, dort in der Spenderzentrale würde ich von einer sanftäugigen jungen Schwester versorgt, die sich - von meinem Armuts-Charme betört - auf ein Glas Mangosekt einladen lässt und die später - bei ihr oder bei mir - mit raffinierten anatomischen Kunstgriffen mein restliches Blut zum Kochen bringt. Ich muss nur stark bleiben.
Bing. Bing. „223“ blinkt auf der Anzeigentafel - ich bin dran. Eine Ärztin im weißen Kittel mit sinnlichen Lippen und blickdichten weißen Strümpfen piekst in meine Fingerkuppe und presst einen Tropfen Blut heraus. Ob ich ausreichend gefrühstückt habe, will sie wissen, auch genug getrunken? Ich bejahe kurz und glaubhaft. Mein Blutdruck wird gemessen: 130 zu 70. Ich bin als Spender akzeptiert. Die Ärztin klärt mich über die Gefahren und Nebenwirkungen auf, indem sie herunterrasselt: „Schwäche, Schweißausbruch, Schwindel bis zur Ohnmacht.“ Sie schiebt mir ein Papier hin, ich unterschreibe, ohne zu ahnen, dass das eben eine Art Weissagung war.
Ich dagegen winde und strecke mich, um den aufwallenden Todeskampf niederzuringen. Meine Hände würden zittern vor Schwäche, wären sie nicht längst eingeschlafen und immer noch rinnt mein Lebenssaft aus mir heraus und damit jede Heroik und auch der letzte Tropfen Armutsromantik perlt in den Transfusionsbeutel – soll doch ein anderer sein Unglück toll finden, ich bin geheilt.
Dann fehlen mir ein paar Minuten. Die erste Ohnmacht meines Lebens.
In meinem Kopf puckert es, ich schlage die Augen auf, und habe erstmal keine Ahnung, wo ich bin. Die beiden Schwestern beugen sich über mich, dazu die Ärztin. Ich liege auf der Liege, die Beine hoch. Trotzdem ist mein Blutdruck nur 90 zu 40. Sehr unsexy Werte.
„Sie werden noch eine ganze Weile hier bleiben“, sagt die Ärztin. Um ihre Lippen entdecke ich eine spöttische Linie.
1 Kommentar:
"Sollte ich tatsächlich in nächster Zeit auf einen Geschlechtspartner treffen, im entscheidenden Körperteil ist sicherlich nicht mit einem Blutstau zu rechnen." ----- Klingt logisch, ist aber falsch. Du hattest wahrscheinlich wirklich eine schlechte Woche, denn eigentlich wird dem Manne in solch einer Situation optische und gleichsam blutzirkulative Hilfestellung in Form von einschlägigen Magazinen angeboten.
Vielleicht beim nächsten Mal.
Kommentar veröffentlichen