
So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr. Evan Parker live in Berlin !!
Als Highlight eines dreimuggigen Abends beim total music meeting. Wir schaffen es noch pünktlich zum dritten Teil. Die Kassiererin der berlinischen Galerie ist unerbittlich - sie fordert den vollen Preis von 22 Euro, obwohl zwei Drittel der Konzerte schon gespielt sind. Egal: Evan Parker! Live in Berlin! Ich lade meine Begleiterin ein, sie kann sich den Eintritt sonst nicht leisten, Ermäßigungen gibt es überhaupt nicht. Na ja. Wir setzen uns erstmal ins Auditorium, Vorfreude auskosten. Die Helfer tragen grade die actionpaintings der Vorgänger von der Bühne, scheint alles recht kultiviert abgegangen zu sein, die Bilder sind in einem negativen Sinn sogar ansehnlich. Kistenweise Musikinstrumente und Utensilien werden von der Bühne geschleppt, wobei mir ein Schneebesen am besten gefällt. Wie der wohl geklungen haben mag?
Dann also Evan Parker mit seinen drei Mitimprovisateuren. Raminta, meine Begleiterin, vermutet, dass er mal heftig getrunken hat, so rot ist seine Nase. Außerdem wundert sie sich, dass Frauen, die Saxophon spielen, nie so einen Bauch bekommen.
Es geht los, Evan Parkers Hände flitzen über sein Sopransax, ein paar tastende Schrittchen ins flache Wasser des grossen Flusses, auf dem gleich die Wildwasserfahrt beginnt. (So ähnlich hat es Parker mal selbst beschrieben). Die anderen steigen ein: Adam Linson am Kontrabass sehr zurückhaltend, er streicht die Saiten direkt hinterm Steg, das macht tonlose hohe kreischende Töne.
Richard Barrett sitzt hinter einem sehr kleinen Keyboard, leider sieht man seinen Hände nicht, es sieht aus als würde er eine Gummischnur ziehen und zupfen und so ähnlich klingt es auch, mal metallisch, dann rasselnd, zirpend, immer überraschend und eigenartig. Endlich weiß ich, woher dieser ganz besondere Sound auf meiner Evan Parker CD stammt. Und es klingt auch ganz ähnlich, wie die CD. Where the hell is the improvisation? Da spielt doch jeder ganz bequem, was er sonst auch so spielt.
Die eigentliche Überraschung ist Peter Evans an der Trompete. Der junge Mann spielt wirklich alles, was man mit einer Trompete machen kann. "Animalisch" nennt Raminta, was der New Yorker da aus der Trompete herauspresst und prustet, flötet oder fiept. Mit seiner perfekten Permanent-Atmung kann er einenTon minutenlang formen und kneten und bringt damit Abwechslung und Markanz in die dahinrasende Improvisation. Trotzdem schlafe ich ein: Ich träume, alle Töne wickeln sich um einen Stab herum, so wie die Schlange um den Äskulapstab, nur rasend schnell, ein wilder Strudel. Sie spielen also doch nicht `jeder was er will´, denke ich im Traum. Beruhigt schlummere ich ein. Raminta rüttelt mein Knie. Ich rechtfertige mein Wegdämmern mit Sauerstoffmangel im Saal. Ganz klar, raunt mir Raminta ins Ohr, die Bläser würden alles wegatmen. Sie reicht mir eine Fiole mit Chinaöl, ich reibe mir einen Tropfen auf die Stirn. Ich schaffe es, wach zu bleiben.
So erlebe ich ein paar lyrische Stellen, bei denen ich zum erstenmal das Gefühl habe, die Musiker werden von dem überrascht, was sie da spielen. Dann zieht wieder jemand die Spülung und die Töne rauschen den üblichen Evan Parker Fluss hinunter bis zur Mündung.
Applaus, eine Verbeugung, keine Zugabe.
Spiele beim Hinausgehen mit dem Plan, eine Evan-Parker-Cover-Band zu gründen, fürchte aber keiner macht mit. Warum auch. Eine reicht.
Evan Parker tenor & soprano saxophones
Peter Evans trumpet
Adam Linson double bass
Richard Barrett sampling keyboard, live electronics
(im link mit Ute Wassermann, und man sieht ein bisschen, was er da macht)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen